Mein erstes Video-Tutorium

Sie lesen einen älteren Blogeintrag. Bitte beachten Sie, dass die hierin enthaltenen Informationen technologisch veraltet sein können. Dieser Text spiegelt nicht unbedingt meine aktuellen Meinungen oder Fähigkeiten wider.

Dies ist die originale deutsche Version dieses Textes. Er ist auch als englische Übersetzung verfügbar.

24. Oktober 2011

Wie einige von euch vielleicht schon wissen, führe ich dieses Semester ein Tutorium zum Thema LaTeX für Studierende des Fachbereichs Informatik durch, das sich zur Hälfte als Video-Tutorial auf YouTube (oder als heruntergeladene Videodatei) abspielt. Ich möchte an dieser Stelle mal erzählen, wie es eigentlich dazu kam.

Der Bedarf für ein LaTeX-Tutorium wurde wohl vom Studienbüro festgestellt und Jan von Soosten kam auf mich zu, ob ich das nicht übernehmen könnte. Ich hatte vorher noch nie eine komplette Lehrveranstaltung eigenständig und eigenverantwortlich durchgeführt, die mir winkende Gestaltungsfreiheit lockte mich letztlich mehr als meine Semester-Arbeitsbelastung mich abschrecken konnte.

Konzept und Ursprung

Seit einiger Zeit schon wollte ich mal ein Video-Tutorium nach Vorbild der Khan Academy durchführen, doch es fehlte immer die Zeit und der Anlass dafür. Diese Gelegenheit verschaffte mir beides.

Die Grundidee der Khan Academy ist die folgende: Die gemeinsame Zeit, die Lehrenden und Lernenden zur Verfügung steht, ist endlich und wertvoll. Im klassischen Modell der universitären Lehre, bestehend aus Vorlesungen und Übungsaufgaben, findet in der Präsenzzeit eine Wissensvermittlung statt, das Einüben und Anwenden des Wissens erledigen die Studierenden allein zuhause oder in kleinen Gruppen. Die Pädagogik predigt schon lange, dass genau jenes Anwenden des Wissens für den Lernvorgang mindestens ebenso wichtig ist wie das Zuhören und Aufnehmen. Warum also nicht mal das Experiment wagen, die Lernenden die Wissensvermittlung in Form von Videos allein zuhause erledigen zu lassen, und in der Präsenzzeit das Wissen anzuwenden und gemeinsam Aufgaben zu bearbeiten?

Wir leben in einer Zeit, in der Audio- und Videodaten ohne unüberwindbare technische Schwierigkeiten weltweit zugänglich gemacht werden können. Bestehende Vorlesungen lassen sich nach Überwindung von ein paar wenigen technischen Hürden prima eintüten und audiovisuell konservieren, das passiert an der Uni Hamburg bereits und findet sehr positiven Anklang bei den Studierenden. Asynchrone Wissensvermittlung kann in dieser Form gut funktionieren und Dinge wie z.B. Lehrbücher sinnvoll ergänzen. Das bestärkt mich in dem Vorhaben, die alte Welt einfach mal um 180° zu drehen und meine Wissensvermittlung in Form von Videos stattfinden zu lassen. Klappt das notwendigerweise besser als das bewährte Modell? Keine Ahnung, aber ist ist auf jeden Fall einen Versuch wert. Ganz nebenbei fällt dabei übigens ein weltweit frei zugänglicher Video-Kurs für LaTeX-Anfänger auch außerhalb unseres Fachbereichs raus.

Let's Learn!

Die konkrete Gestaltung meiner Videos ist allerdings deutlich anders als bei typischen Lecture2Go-Aufzeichnungen. Das, was fast die gesamte Zeit zu sehen ist, ist mein LaTeX-Editor und der dazugehörige PDF-Viewer. Ich habe keine Kamera auf mich gerichtet, aber ich spreche ins Mikrofon und kommentiere, während ich arbeite. Es gibt ein Intro/Outro und einen einprägsamen Titelsong (Creative Commons sei dank: (A) in Mono – Cube-shaped). Diese Gestaltungsmuster und -elemente entstammen der „Let's Play“-Metacommunity auf YouTube. Für alle, denen das nichts sagt: Man nimmt ein PC- oder Konsolenspiel, spielt und kommentiert es und schneidet das Ganze mit. Daraus entstehen dann jede Menge Videos, die zu Serien und Staffeln zusammengefasst werden. Viele Let's-Player geben sich unglaublich viel Mühe damit, ihre Zuschauer zu fesseln und zu unterhalten.

Wahrscheinlich ist das etwas, was für einige Leute sehr unterhaltsam sein kann, während einige andere sich an den Kopf fassen und sich fragen, wie man das spaßig finden kann. Ich persönlich verfolge eine Handvoll Let's-Player auf YouTube und konnte mir für die Gestaltung meiner eigenen Videos dort einige Tricks abschauen. Die Gemeinsamkeiten beschränken sich jedoch nicht nur auf die Gestaltungsmittel, sondern erstrecken sich auch auf die Herangehensweise: Meine Videos haben bewusst nicht den Charakter eines Films oder eines minutiös durchgeplanten Tutorials, sondern ich habe vorher bestenfalls eine grobe Vorstellung davon was ich machen will, lege dann – wie ein Let's-Player – einfach los und schneide alles mit, einschließlich meiner Fehler und Probleme und Situationen, in denen ich keine Ahnung habe, was gerade schiefgeht. So wirkt das Ganze sehr authentisch und spart mir außerdem zusätzlichen Arbeitsaufwand in der Nachbearbeitung.

Eine weitere Inspirationsquelle sind übrigens die Softwareentwicklungs-Vorlesungen von Axel Schmolitzky. Wer die mal besucht hat, weiß wie Axel Live-Code-Demonstrationen einsetzt, um Dinge vorzuführen. Zwischen diesen Episoden und meinen Videos gibt es starke Parallelen.

Und nun?

Es gab auf meine Ankündigungsmail eine ansehnliche Anzahl Rückmeldungen, es wurde ein Termin ausgedudelt und wir treffen uns diese Woche das erste Mal. Übrigens am Freitag von 12:15 bis 13:45 Uhr in C-101, falls jemand noch spontan dazukommen möchte. Wenn dann bitte vorher die ersten zwei Lektionen schauen und den eigenen Laptop o.Ä. mitbringen.

Im Moment ist es noch zu früh, um die Tragfähigkeit des Konzepts zu evaluieren. Technisch kann ich schon mal sagen, dass das bisschen Videobearbeitung auf meinem Linux-Desktop nach etwas Eingewöhnung prima funktioniert, siehe dazu auch meinen Blogeintrag „recordmydesktop and OGV“. Ist jemand an Details zur Nachbearbeitung mit Kino interessiert?

Auch YouTube funktioniert als Kanal anscheinend hinreichend gut, um quasi alle Interessierten zu erreichen. Ich habe mich außerdem mit dem „Community Video“-Bereich von archive.org auseinandergesetzt und werde die Videos über kurz oder lang auch in verschiedenen Dateiformaten dort anbieten, um auch die Leute einzuschließen, die mit YouTube aus technischen, ethischen oder sonstigen Gründen nicht warm werden. Beim Lecture2Go-Team habe ich dieses Mal noch nicht nachgefragt, ob sie die Videos evtl. auch hosten wollen. Mal gucken, vielleicht geht da auch noch was.